Ersatzteilversorgung & Servicechaos – wenn der Winter die Wahrheit zeigt

Veröffentlicht von den Radical Life Studios und dem MTB Report


Der Winter ist die Zeit der Wahrheit.
Im Sommer reden alle über Reichweite, Fahrspaß und Trails – im Winter merkt man, was das alles wirklich kostet.
Nicht an Geld, sondern an Geduld.

Denn wer jetzt sein Bike in die Werkstatt bringt, steht oft wochenlang auf der Warteliste.
Bremshebel? Fehlanzeige. Dämpfer-Service? Frühestens im Dezember.
Und wer glaubt, die Industrie hätte daraus gelernt, täuscht sich.
Das Serviceproblem ist kein Zufall – es ist ein Systemfehler.


Der Markt erholt sich – aber nicht überall

Laut ZIV wurden im ersten Quartal 2025 in Deutschland rund 885.000 Fahrräder und E-Bikes verkauft – ein Plus von über 10 % gegenüber dem Vorjahr.
Die Nachfrage zieht also wieder an.
Doch die Ersatzteilversorgung hinkt hinterher: viele Händler berichten von 8–12 Wochen Wartezeit für bestimmte Komponenten.
Während Neuräder in den Lagern stehen, fehlen Kleinteile in den Werkstätten.

Das Problem: Die Lieferketten wurden in den letzten Jahren umgebaut –
weg von Asien, hin zur EU-Produktion.
Das ist gut für neue Bikes, aber schlecht für Ersatzteile.
Denn viele OEMs priorisieren Serienproduktion, nicht Service.


Werkstätten am Limit

Das zweite große Problem ist nicht technischer Natur – sondern menschlich.
Shimano selbst spricht in einem Statement von einem „kritischen und wachsenden Fachkräftemangel“ im Fahrradservice.
Die Marke startete 2025 eine eigene Mechaniker-Initiative, um das Loch zu stopfen.
Doch die Realität bleibt:
Ein E-Bike-Techniker wird nicht in zwei Tagen geboren.

Auch wenn E-Bikes keine technischen Weltwunder sind –
die Elektronik und das Zusammenspiel von Sensoren, Software und Motorsteuerung verlangen Erfahrung.
Ein „geschulter“ Mechaniker ist noch kein Spezialist.
Und Erfahrung entsteht nicht im Seminar, sondern in der Werkstatt – mit echten Problemen, echten Kunden und echten Fehlern.
Das bedeutet: Wir werden das Werkstattproblem noch Jahre spüren.


Industrie unter Zugzwang

Bosch gibt offiziell an, Ersatzteile mindestens sechs Jahre nach Produktionsende verfügbar zu halten –
aber mit dem Hinweis: „sofern Zulieferer lieferfähig sind“.
Das klingt nach Sicherheit, ist aber eine Wette.
Wenn ein kleiner Sensor oder ein Controller ausfällt und der Zulieferer die Produktion einstellt,
dann bleibt dem Kunden nur eines: hoffen.

Fox und Marzocchi haben darauf reagiert und neue Servicecenter in Deutschland aufgebaut.
Auch RockShox nennt ambitionierte 24–48 h Inhouse-Zeiten –
in der Praxis aber nur außerhalb der Saison realistisch.
Das zeigt: Die Branche weiß, dass Service der Engpass ist.
Sie tut auch etwas – aber zu langsam.


Der Preis der Komplexität

Die größte Ironie ist: Wir wollten alle Innovation –
und jetzt stehen wir im Stau aus Komplexität.
Jede neue Motorgeneration, jedes Update, jede Integration
macht Bikes nicht nur besser, sondern auch reparaturanfälliger.
Und während Marketing „Smart Riding“ ruft,
fragen sich Mechaniker: „Welcher Sensor spinnt diesmal?“


Die Bike-Branche will verkaufen, aber sie muss wieder lernen, zu versorgen.
Ohne gut ausgebildete, erfahrene Techniker bleibt jedes E-Bike nur so zuverlässig wie sein schwächstes Kabel.
Das ist kein Drama – das ist Realität.
Aber solange man lieber Schulungszertifikate druckt, statt Zeit für Erfahrung zu schaffen,
wird sich daran wenig ändern.

Der Winter ist ehrlich.
Er zeigt, was wirklich läuft – oder eben nicht.


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